10.07.2023 - 11.20 Grundversorgung sichern - Signal für körperlich...

Beschluss:
ungeändert beschlossen
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Wortprotokoll

Der Präsident der Bürgerschaft ruft den Tagesordnungspunkt auf.

 

Frau Hübner bringt die Beschlussvorlage ein.

 

Frau Wolter

. beantragt Rederecht für Frau Ute Stutz. Sie sei jahrelang Stationsleiterin der Gynäkologie an der Universitätsmedizin in der Universitäts- und Hansestadt Greifswald gewesen.

 

Herr Liskow

. informiert, dass im Vorab schriftlich das Rederecht für die AG „Medizin und Menschenrechte“ beantragt worden sei.

. lässt über das Rederecht für eine Vertreterin dieser AG abstimmen:

 

Ja-Stimmen

Nein-Stimmen

Enthaltungen

mehrheitlich

4

einige

 

. lässt über das Rederecht von Frau Stutz abstimmen:

Ja-Stimmen

Nein-Stimmen

Enthaltungen

mehrheitlich

4

einige

 

Eine Vertreterin der AG „Medizin und Menschenrechte“ 

. berichtet, dass Schwangerschaftsabbrüche mit knapp 100.000 Fällen pro Jahr einige der häufigsten gynäkologischen Eingriffe seien, wovon 96 Prozent nach Beratungsregeln erfolgen. Dies bedeute, dass die Schwangeren bis zur 12. Woche postkonzeptionell abtreiben dürften. Dabei seien drei Termine einzuhalten:

  1. Feststellung der Schwangerschaft
  2. Konfliktberatung
  3. Abbruch der Schwangerschaft

Zudem gebe es in Deutschland die kriminologische, die medizinische und die soziale Indikation, unter der man straffrei abtreiben dürfe. Dabei seien sowohl der medizinische als auch der chirurgische Schwangerschaftsabbruch einfache Eingriffe mit sehr geringen Folgekomplikationen. In den letzten 20 Jahren habe sich die Anzahl der Ärzt*innen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen dürfen, halbiert und weitere Ärzt*innen gehen in den nächsten Jahren in den Ruhestand. Die Versorgungssicherheit sei eindeutig in Gefahr – insbesondere in einem Flächenland wie Mecklenburg-Vorpommern.

. sieht die Unimedizin Greifswald als Maximalversorger in Mecklenburg-Vorpommern sowie als Weiterbildungsstätte in der Verantwortung, Schwangerschaftsabbrüche nicht nur durchzuführen, sondern vor allem auch zu lehren.

Nach eigenen Recherche führe die Unimedizin Greifswald faktisch keine Schwangerschaftsabbrüche nach sozialer Indikation durch, obwohl es Ärzt*innen in Weiterbildung gebe, die die Abbrüche durchführen oder zumindest lernen würden.

. fordert, eine anonyme Umfrage unter den beteiligten Mitarbeiter*innen durchzuführen, um ein genaueres Bild über die tatsächliche Bereitschaft zu erhalten.

 

Frau Stutz

. bittet die Bürgerschaft, durch ihren Appell gegebenenfalls die Möglichkeit zu schaffen, mit allen Beteiligten in einem gemeinsamen Gespräch darüber zu diskutieren.

. ist der Meinung, dass der medikamentöse Schwangerschaftsabbruch eine wichtige Säule sei. Im Gesetzblatt sei das Unrecht noch sehr groß geschrieben. Dies sollte bundesweit überdacht werden. In Greifswald könne ein Anfang gemacht werden. Den Gynäkolog*innen würde mehr Rechtssicherheit gegeben, wodurch möglicherweise das moralische Gewissen beruhigt werden könnte. Die Position der Ärzt*innen und Gynäkolog*innen könne gestärkt werden, indem die Bürgerschaft hinter ihnen stehe und indem den Frauen Schutz gegeben werde.

. berichtet von ihren Erlebnissen und Erfahrungen in der jahrelangen Zusammenarbeit mit betroffenen Frauen.

 

Frau Horn

. sagt, dass Schwangerschaftsabbrüche immer noch ein tabuisiertes Thema seien. Allerdings sei durch diese Beschlussvorlage eine öffentliche Debatte – nicht nur in den bürgerschaftlichen Gremien – hervorgerufen worden. Dies sei es, was die Kommunalpolitik leisten könne und dieser Antrag bewirken solle.

. wirbt um Zustimmung zu dieser Beschlussvorlage.

 

Frau Prof. Dr. Tolani

. informiert, dass die CDU-Fraktion dieser Beschlussvorlage nicht zustimmen werde. Im vorliegenden Antrag würden verschiedene Aspekte angesprochen und Forderungen aufgestellt, die voneinander losgelöst zu betrachten seien. Zum einen greife die Forderung nach einer Abschaffung des Paragraphen 218 StGB sehr kurz und sei einseitig. Hierbei gehe es nicht um das Recht einer Frau über ihre Freiheit selbst zu entscheiden, sondern um menschliches Leben, welches durch § 218 StGB geschützt werde. Durch den Umstand, dass dieses Leben noch nicht geboren sei, habe es dennoch keine andere Wertqualität als das geborene. Dieses ungeborene Leben sei ein eigenständiges, insbesondere vom Willen und Leben der Mutter unabhängiges, höchstpersönliches Rechtsgut. Natürlich sei neben diesem Lebensrecht des Ungeborenen auch die Entscheidungsfreiheit der Frau zu berücksichtigen und ein anzuerkennendes Schutzgut. Im Ergebnis gehe es daher um einen Güterkonflikt, welchen der Bundesgesetzgeber mit § 218 a StGB löse. Somit sei formal eine Abtreibung mit gewissen Vorkehrungen möglich.

. ist der Meinung, dass das Thema auf kommunaler Ebene deplatziert sei. Eine Frage an einen Arzt nach seiner Bereitschaft einen Schwangerschaftsabbruch bei sozialer Indikation durchzuführen, betreffe die ethische Grundauffassung des Arztes, was wahrscheinlich im Rahmen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes rechtswidrig sei. Das Lehrangebot der Universität falle nicht in den Zuständigkeitsbereich der Bürgerschaft.

 

Frau Wolter

. ist auch der Meinung, dass durch diese Beschlussvorlage Aufmerksamkeit geschaffen worden sei. Dies sei das große Ziel.

. könne ebenso die Gegenargumente verstehen.

. bittet allerdings die Mitglieder, die sich gegen diese Beschlussvorlage aussprechen, sich bei der Abstimmung zu enthalten, da dringend gemeinsame Gespräche unter den Beteiligten benötigt werden.

 

Frau Wuschek

. schließt sich Frau Prof. Dr. Tolani an, dass es nicht in der Zuständigkeit der Bürgerschaft liege, der Universitätsmedizin Greifswald etwas vorzuschreiben. Das würde bedeuten, dass die Universitätsmedizin nur noch Ärzte einstellen dürfte, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Diese Frage sei jedoch im Bewerbungsgespräch nicht zulässig. Zudem könnte diese Einschränkung für einen weiteren Ärztenotstand sorgen.

. kann dem Antrag nicht zustimmen.

 

Herr Hochschild

. sagt, dass sich die Bürgerschaft durch diese Vorlage in die inneren Angelegenheiten der Universitätsmedizin einmische.

. bittet, an die Gynäkologen zu denken. Die Entscheidung für die Tötung von werdendem Leben sei sicher nicht einfach und diese Entscheidung sollte den Fachgynäkologen überlassen werden.

. erinnert daran, dass die Ärzte einen hippokratischen Eid geleistet hätten.

. appelliert an alle Anwesenden, sich auf die Seite des werdenden Lebens zu stellen.

 

Frau Hübner

. geht auf den Redebeitrag von Herrn Hochschild ein und berichtet, dass mit dem Bündnis „Doctors for Choice Germany“ Kontakt aufgenommen und nach den Gründen der Nichtdurchführung gefragt worden sei. Bei den wenigsten gebe es moralische Bedenken. Meistens seien es sachliche Gründe, wie beispielsweise der Verwaltungsaufwand, Sorge vor juristischen Hürden wegen der Kriminalisierung oder Angst vor Repressionen von außen. Die Gründe seien vielfältig. Aber genauso gebe es viele Möglichkeiten den Ärzt*innen entgegen zu kommen und Ihnen zu helfen.

Der Schutz des ungeborenen Lebens funktioniere nicht ohne den Schutz der Mutter. Eine Frau, die nicht ärztlich abtreibe, sondern sich einen anderen Weg suche, gehe damit auch die Gefahr für ihr eigenes Leben ein. Sterbe die Mutter, so sterbe das Ungeborene unweigerlich, da es außerhalb des Leibes der Mutter nicht lebensfähig sei.

. stellt hinsichtlich der juristischen Anmerkungen klar, dass es hierbei um Solidarisierung gehe. In Greifswald gebe es viele Menschen, denen das Thema sehr wichtig sei.

 

Frau Dr. Wölk

. hält die Beschlussvorlage für wichtig. Die Entscheidung für Tötung von werdendem Leben sei für niemanden einfach. Aber aus diesem Grund gebe es Regeln, nach denen solch eine Entscheidung getroffen werde. Zudem bestehe eine medizinische Pflicht, Leben zu retten. Dabei gehe es zum einen um das werdende Leben, aber auch um das Leben der Mutter.

. berichtet von den Verfahrensweisen aus anderen Ländern.

Natürlich könne, wolle und solle die Bürgerschaft der Unimedizin nicht vorschreiben, was sie lehre und wie sie die Lehre umsetze. Trotzdem sei es ein Appell, der den dort Lehrenden und Tätigen zeige, welche Punkte die Bürgerschaft für notwendig und wichtig halte. Es sei nicht in Ordnung, wenn eine Frau in solch einer sehr schwierigen Situation überlegen müsse, in welches Krankenhaus sie fahre.

 

Frau Horn

. sagt, dass rechtlichen Veränderungen stets gesellschaftliche Debatten vorausgingen. Genau dies, erfolge hier.

 

Herr Hochschild

. beantragt im Namen seiner Fraktion namentliche Abstimmung.

 

Herr Kerl und Frau Wuschek

. bitten um Benennung konkreter Zahlen.

 

Frau Hübner

. weißt darauf hin, dass in der Beschlussvorlage Quellen mit konkreten Zahlen angegeben seien.

 

Der Präsident der Bürgerschaft lässt namentlich über die Beschlussvorlage abstimmen.

 

Mitglied der Bürgerschaft

JA

NEIN

ENTHALTUNG

Herr  Ibrahim Al Najjar

X

 

 

Herr  Johannes Barsch

X

 

 

Herr  Ulf Burmeister

 

 

X

Frau  Camille Damm

X

 

 

Frau  Rita Duschek

X

 

 

Herr  Robert Gabel

X

 

 

Frau  Yvonne Görs

X

 

 

Herr Prof. Dr. Frank Hardtke

 

 

X

Frau Dr. Tjorven Hinzke

X

 

 

Herr  Axel Hochschild

 

X

 

Frau  Katharina Horn

X

 

 

Frau  Anja Hübner

X

 

 

Frau Antonia Linea Huhn

X

 

 

Herr  Heiko Jaap

 

 

X

Herr  Lutz Jesse

 

X

 

Herr Dr. Jörn Kasbohm

X

 

 

Herr Dr. Andreas Kerath

X

 

 

Herr  Thomas Kerl

X

 

 

Herr  Gamal Khalil

abwesend

Herr  Jörg König

X

 

 

Herr  Nikolaus Kramer

 

X

 

Herr  Alexander Krüger

X

 

 

Herr  Jörg-Uwe Krüger

entschuldigt

Herr  Christian Kruse

 

X

 

Herr  Jürgen Liedtke

 

X

 

Herr  Egbert Liskow

 

X

 

Herr Dr. Thomas Meyer

entschuldigt

Herr Prof. Dr. Markus Münzenberg

entschuldigt

Herr Christoph Oberst

X

 

 

Herr Gerd-Martin Rappen

 

X

 

Herr Stephan Reuken

 

X

 

Frau Dr. Mignon Schwenke

entschuldigt

Herr Daniel Seiffert

X

 

 

Frau  Birgit Socher

X

 

 

Herr Prof. Dr. Thomas Stamm-Kuhlmann

entschuldigt

Frau Prof. Dr. Madeleine Tolani

 

X

 

Herr Dr. Jörg Valentin

 

X

 

Herr Marco Wandrey

 

 

X

Frau  Kira Wisnewski

X

 

 

Frau Dr. Monique Wölk

X

 

 

Frau  Katja Wolter

X

 

 

Frau  Grit Wuschek

 

X

 

Herr Ingo Ziola

entschuldigt

 

Die Sitzung wird mit TOP 11.3 fortgesetzt.

 

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Beschluss:

 

Die Bürgerschaft der Universitäts- und Hansestadt Greifswald appelliert an die Universitätsmedizin Greifswald, darauf hinzuwirken, dass chirurgische Schwangerschaftsabbrüche nach sozialer Indikation in das Behandlungsspektrum fest integriert werden sowie schnellstmöglich eine grundsätzliche Versorgung mit medikamentösen Schwangerschaftsabbrüchen fest zu etablieren. Die AG Medizin und Menschenrechte1 der Universität Greifswald sollte in den Prozess mit einbezogen werden und hier unterstützend/ vermittelnd tätig sein dürfen.

 

Außerdem stellt sich die Bürgerschaft an die Seite aller Personen, die keinen oder ungenügenden Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen haben und spricht sich für ein Recht auf körperliche Selbstbestimmung, die Abschaffung von §218 StGB durch den Bundestag, die Enttabuisierung von Schwangerschaftsabbrüchen und die damit verbundene Forderung nach breiter Aufklärung aus.

 

Um diesen Forderungen Ausdruck zu verleihen, beauftragt die Bürgerschaft die Verwaltung anlässlich des “Safe Abortion Day”2 am 28.09.23 eine Pressemitteilung herauszugeben. Teil der Pressemitteilung soll auch die dringende Forderung an die Landes- und Bundesregierung sein, Maßnahmen für eine flächendeckende infrastrukturelle Verbesserung der Versorgung mit Schwangerschaftsabbrüchen zu erarbeiten. Zudem soll an sämtliche Kliniken und Krankenhäuser, die derzeit noch keine oder unzureichend Schwangerschaftsabbrüche nach sozialer Indikation durchführen, appelliert werden, dies als grundsätzliche gynäkologische Behandlung in ihr Leistungsspektrum zu integrieren.

 

1 AG Medizin und Menschenrechte

https://www.mum-hgw.de/?fbclid=PAAaYsnKkr1g3AWlpoM8VtzEM5Ji5pw6lSn1PCaufVqjMOSk7lmP4ye9jG3cY

2Safe Abortion Day - Internationale Tag der sicheren Abtreibung

https://safeabortionday.noblogs.org/

 

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Abstimmungsergebnis:

 

Ja-Stimmen

Nein-Stimmen

Enthaltungen

21

11

4