Beschlussvorlage der Politik - BV-P/07/0067-02

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Beratungsfolge

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Beschlussvorschlag

Die Greifswalder Bürgerschaft beschließt, Flächen in städtischem Eigentum oder Besitz künftig nur noch Zirkusbetrieben oder Veranstaltern zu überlassen, die keine Wildtiere wie Elefanten, Huftiere, Großkatzen, Bären oder Primaten mit sich führen.

Mit der Beschränkung soll den Gefahren, die mit der Haltung dieser wilden Tierarten in mobilen Einrichtungen einhergehen, Rechnung getragen werden. Bereits geschlossene Verträge oder Zusagen bleiben von dem Beschluss unberührt.

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Sachdarstellung

Anfang Oktober 2019 musste bei Tessin wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit ein Zebra abgeschossen werden, dass zuvor mit einem weiteren Zebra aus einem Zirkus ausgebrochen war[1].

 

Dieses kürzliche Beispiel auch in Mecklenburg-Vorpommern zeigt, Wildtiere können in reisenden Betrieben nicht tiergerecht gehalten werden. Ihre physiologischen, mentalen und sozialen Bedürfnisse können nicht ausreichend befriedigt werden. Lange Transporte, das Leben in verriegelten Räumen sowie Dressuren für unnatürliche Kunsttücke bedeuten Stress für die Tiere. Sie können ihre natürlichen Verhaltensweisen nicht ausleben und zeigen häufig Verhaltensstörungen[2]. Der Report über Zirkusse mit Wildtieren in der EU beleuchtet nicht nur den kritischen Umgang mit Wildtieren in reisenden Betrieben, sondern auch die Gefahren, die damit einhergehen. Allein in den letzten vier Jahren (2016 bis Okt. 2019) wurden mindestens 75 Zwischenfälle mit Wildtieren dokumentiert[3], in denen die Tiere entweder aus den Zirkusbetrieben ausbrachen und unbeaufsichtigt umherliefen[4] oder aber Teilnehmer*innen der Vorstellung[5] verletzten.

 

Bei einigen Vorfällen waren zudem Sachschäden zu verzeichnen. In Europa sind seit 1987 mindestens 194 gefährliche Vorfälle registriert. Dabei wurden 17 Personen von Elefanten im Zirkus getötet und mindestens 59 teilweise schwer verletzt[6].

 

Auch der Bundesrat verweist in seiner Entschließung 2016 für ein Verbot von Wildtieren im Zirkus auf die Gefahrensituation: „Ferner sind vermehrte Zwischenfälle mit den genannten Tierarten und Ausbrüche von Zirkustieren augenfällig, die auch die Bevölkerung immer wieder gefährden.“ Einen Grund dafür sieht die Länderkammer darin, dass die „eigentlich notwendige Einrichtung von ausreichend großen, ausbruchsicheren und artgerecht ausgestatteten Gehegen […] mit der Notwendigkeit zur fortwährenden Mobilität“ kollidiert.

 

Der Bundesrat verweist in seiner Entschließung im Jahr 2016 auf Verhaltensstörungen vieler Tiere im Zirkus als Folge der schlechten Haltungsbedingungen in einem mobilen Betrieb. Dadurch wird das Verhalten der Tiere unberechenbar und Gefahrensituationen werden kaum vorhersehbar. Selbst jahrelang unauffällige oder als „gezähmt“ geltende Wildtiere können unvermittelt und ohne ersichtlichen Grund zur Gefahr werden. So wurde die Elefantenkuh „Benjamin“, die im Juni 2015 einen Passanten im baden-württembergischen Buchen tötete[7], 2013 vom Kreisveterinäramt Bad Tölz-Wolfratshausen als „in keinster Weise aggressiv“ wirkend bezeichnet[8]. Ein Verhaltensforscher, der ein Gutachten über diese Elefantenkuh erstellte und zur etwaigen Gefährlichkeit des Tieres befragt wurde, betonte 2014, dass der Elefant „psychisch vollkommen ausgeglichen“ sei[9].

 

Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DVUG) ist der Spitzenverband für die gewerblichen Berufsgenossenschaften und der Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand. Die Unfallversicherungsträger haben Regeln zur Unterstützung der Unternehmer und Versicherten bei der Wahrnehmung ihrer Pflichten im Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz erarbeitet. Für die Haltung von Wildtieren in Zoos und Tierparks gilt die „BGR/GUV-R 116“ in der aktualisierten Fassung von 2012[10]. Als gefährliche oder besonders gefährliche Tierarten sind demnach Elefanten, Flusspferde, Giraffen, Großbären, Großkatzen, Nashörner, Primaten ab Makakengröße und Wölfe u. a. klassifiziert. Für deren Haltung sind besondere Sicherheitsanforderungen vorgeschrieben, die vor allem hinsichtlich der besonders gefährlichen Wildtierarten in mobilen Einrichtungen wie Zirkusbetrieben aufgrund baulicher und personeller Anforderungen nicht umsetzbar erscheinen. Die Anzahl der Ausbrüche und Vorfälle mit gefährlichen Wildtieren sowie die hohen Anforderungen an die sichere Haltung dieser Tierarten in Zoos und Tierparks zeigt, dass ein vergleichsweise bedeutendes Gefährdungspotenzial in den entsprechenden Zirkusbetrieben gegeben ist.

 

Rechtliche Einordnung:

Die Oberverwaltungsgerichte Lüneburg und Greifswald[11] haben 2017 enge Grenzen für ein kommunales Zirkus-Wildtierverbot gesetzt und einer alleinigen Begründung mit Tierschutzargumenten Absagen erteilt. Das OVG Lüneburg betont jedoch[12]:

 

Zur Klarstellung wird darauf verwiesen, dass von der vorbezeichneten Sperrwirkung gefahrenabwehrrechtliche (vgl. etwa Bayr. VGH, Beschl. v. 1.7.2012 - 10 CS 12.1475 -, juris, Rn. 4) einschließlich bauordnungsrechtlicher Gründe für ein Verbot des Mitsichführens von Wildtieren ebenso wenig mit umfasst sind wie ein Einschreiten aus tierschutzrechtlichen Gründen im Einzelfall, die nicht vom Regelungsgehalt der Genehmigung nach § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 d TierSchG eingeschlossen sind; ebenso wenig ist eine Kommune verpflichtet, für den Auftritt von Zirkussen mit Wildtieren geeignete Flächen überhaupt vorzuhalten oder allgemein Tiere in ihren Einrichtungen (außerhalb etwa von Tierheimen) zuzulassen.

 

Bereits 2016 entschied das Verwaltungsgericht Darmstadt zu Gunsten der Stadt Reinheim, die auf ihrer Fläche ein Zirkusgastspiel mit Tigern untersagte. Die Stadt hatte mit der Gefahrenlage argumentiert. Das Verwaltungsgericht betonte, die Gemeinde habe „bei der Vergabe von Veranstaltungsplätzen einen weiten Gestaltungsspielraum und könne die Vergabe des Platzes zulässigerweise auf eine Veranstaltung ohne Raubtiere beschränken“[13].

 

Unter Berücksichtigung des Beschlusses des OVG-Lüneburg sowie vorangegangener Gerichtsent­scheidungen zeigt ein Rechtsgutachten[14] der Stabsstelle Tierschutz des Ministeriums für Ländlichen Raum (BW) Städten und Gemeinden auf, wie unter Beachtung der aktuellen Rechtslage bestimmte Wildtierarten von kommunalen Flächen ausgeschlossen werden können. Demnach werden Beschränkungen von Zirkusbetrieben mit gefährlichen Tieren als rechtskonform gewertet, weil die öffentliche Sicherheit in kommunaler Zuständigkeit liegt. Unter anderem hat die Stadt Meerbusch 2017 ein an die aktuelle Rechtslage angepasstes Zirkus-Wildtierverbot beschlossen und in der Beschlussvorlage[15] hauptsächlich ordnungs- und sicherheitsrelevante Argumente angeführt.

 

Wie bereits erwähnt, haben über 100 Städte ein Zirkus-Wildtierverbot auf eigenen Flächen etabliert. Die vor 2017 gefassten Beschlüsse argumentieren meist mit der systembedingt mangelhaften Haltung von Wildtieren im Zirkus unter Verweis auf ein rechtskräftiges Urteil des Verwaltungsgerichts München, welches die Rechtmäßigkeit eines kommunalen Wildtierverbots in der Stadt Erding bestätigte[16]. Das Verwaltungsgericht München sieht im kommunalen Wildtierverbot keinen Verstoß gegen die verfassungsmäßig geschützten Rechte der Berufs- und Kunstfreiheit oder des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs. In zweiter Instanz äußerte sich der Bayerische Verwaltungsgerichtshof und bestärkte während der mündlichen Verhandlung 2016 die vorangegangene Entscheidung des VG München mit Hinweis auf das Selbstverwaltungsrecht der Kommunen (Art. 28 Abs. 2 GG)[17]. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof betonte die Entscheidungsfreiheit der Städte bei der Ausgestaltung ihrer Veranstaltungskonzepte. Die Entscheidung, Zirkusbetriebe mit Wildtieren abzulehnen, basierte dabei dem Gericht zufolge maßgeblich auf der ablehnenden Haltung der Bevölkerung gegenüber Wildtieren in Zirkussen und negativen Erfahrungen mit anderen Zirkusbetrieben.

 

Erläuterung zur Wildtierliste:

Als Huftiere werden hier solche Huftierarten zusammengefasst, wie sie in der Liste "Gefährliche Tiere/Tier­arten" in Bayern als Ergänzung zur Ziffer 37.2 VollzBekLStVG (Vollzug des Landesstraf- und Ver­ord­nungsgesetzes) aufgeführt werden[18].

 

Finanzielle Auswirkungen:

In dem Zeitraum 2015 bis September 2019 wurden insgesamt 16.020,44€ Einnahmen aus Zirkusgastspielen generiert. Gerundet 3.204,00€ pro Jahr, 267€ pro Monat[19].

 

Ein modernes Bühnenprogramm lebt von Artisten, Musikern und Künstlern. Verhaltensgestörte oder gar gefährliche Tiere, die nur durch Züchtigung zu Kunststücken bewegt werden, sollten nicht der Blickpunkt für freudvolle Familienunterhaltung sein. Ebenso sieht es der Zirkus Roncalli, der auf gesundes Essen, sportliche Artisten, witzige Clowns und über Beamer projizierte Tiere setzt[20].


[3] PETA (2019): Ausbrüche und Unfälle von Tieren im Zirkus. Online unter: www.peta.de/Zirkusunfaelle Letzter Zugriff: 27.10.2019

[5] 2018 in Kieve (MV): Tiger verletzt Dompteure schwer: https://www.svz.de/regionales/blaulicht/unglueck-im-zirkus-barley-tiger-greift-dompteure-an-id18867516.html Letzter Zugriff: 27.10.2019

[6] Persönliche Mitteilung von der Organisation Elefanten-Schutz-Europa e.V., die eine Statistik über sämtliche dokumentierte Vorfälle führt. 

[8] Eick, Carl-Christian (2013): „Wirbel um angeblich aggressive Elefanten-Dame“. In: Merkur vom 07.06.2013. Online unter: https://www.merkur.de/lokales/wolfratshausen/veterinaer-elefant-benjamin-keinster-weise-aggressiv-2944200.html Letzter Zugriff: 15.07.2017

[9] Stellmach, Peter (2014): „Elefant Benjamin: Tiermediziner geben Circus Luna vollen Rückhalt“. In: Badische Zeitung vom 11.04.2014. Online unter: http://www.badische-zeitung.de/loeffingen/elefant-benjamin-tiermediziner-geben-circus-luna-vollen-rueckhalt--83162838.html Letzter Zugriff: 15.07.2017

[10] Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) (2012): „Haltung von Wildtieren“. Online unter: http://publikationen.dguv.de/dguv/pdf/10002/r-116.pdf Letzter Zugriff: 15.07.2017

[11] Oberverwaltungsgericht Greifswald (2017): Beschluss vom 03.07.2017. Aktenzeichen 2 M 369/17.

[12] Oberverwaltungsgericht Lüneburg (2017): Beschluss vom 02.03.2017. Aktenzeichen 10 ME 4/17. Online unter: www.rechtsprechung.niedersachsen.de/jportal/portal/page/bsndprod.psml?doc.id=MWRE170004982&st=null&showdoccase=1 Letzter Zugriff: 28.10.2019

[13] Verwaltungsgericht Darmstadt (2016): Beschluss vom 17.10.16. Aktenzeichen 3 L 2280/16.DA. Online unter: www.juris.de/jportal/portal/page/homerl.psml?nid=jnachr-JUNA161002236&cmsuri=%2Fjuris%2Fde%2Fnachrichten%2Fzeigenachricht.jsp. Letzter Zugriff: 15.07.2017

[14] Maisack, Dr. Christoph (2017): „Ergänzung der Stellungnahme „Zirkusse mit Wildtieren in kommunalen öffentlichen Einrichtungen“ vom 10.07.2015“. Online unter: https://mlr.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/m-mlr/intern/dateien/PDFs/SLT/Ergaenzung_Stellungnahme_Zirkusse.pdf Letzter Zugriff: 28.10.2019

[15] Ratsbeschluss Stadt Meerbusch für ein kommunales Zirkus-Wildtierverbot (2017). Online unter: https://ratsinfo.meerbusch.de/bi/vo0050.php?__kvonr=2107 Zuletzt abgerufen: 28.10.2019

[16] Verwaltungsgericht München (2014): Urteil vom 06.06.2014, rechtskräftig seit 27.04.2016. Aktenzeichen M 7 K 13.2449. Online unter https://openjur.de/u/728811.html Letzter Zugriff: 15.07.2017

[17] Kveton, Peter (2016): Kommunen dürfen weiter Verbote für Wildtiere erlassen. Artikel vom 27.04.2016. In: Bayerischer Rundfunk – Onlinepräsenz: BR.de.

[19] Kleine Anfrage zu Wildtieren auf städtischen Flächen: https://greifswald.sitzung-mv.de/ratsinfo/wicket/resource/org.apache.wicket.Application/pdf:anl1016585!2 Letzter Zugriff: 28.20.2019

[20] Beamer statt Kamele im Zirkus Roncalli: https://weserreport.de/2019/10/bremen-bremen/panorama/circus-roncalli-beamer-statt-kamele/ Letzter Zugriff: 28.10.2019

 

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