Beschlussvorlage der Politik (ö) - BV-P-ö/07/0254-01
Grunddaten
- Betreff:
-
Ethisch-nachhaltige Finanzen
- Status:
- öffentlich (in Beratung aufgenommen)
- Vorlageart:
- Beschlussvorlage der Politik (ö)
- Federführend:
- Politik
- Antragsteller/in:
- Fraktion DIE LINKE und PARTEI MENSCH UMWELT TIERSCHUTZ
Beratungsfolge
Status | Datum | Gremium | Beschluss | NA |
---|---|---|---|---|
●
Gestoppt
|
|
Bürgerschaft (BS)
|
Beschlussfassung
|
|
|
Oct 17, 2022
|
Beschlussvorschlag
Die Universitäts- und Hansestadt Greifswald unterstützt die Ziele und Grundsätze des Divestment und verpflichtet sich damit zu einem ethisch-ökologischen Handeln im Sinne der Nachhaltigkeit auch bei Finanzangelegenheiten.
- Bei Finanzanlagen sind eine Einhaltung der Prinzipien der ethischen und ökologischen Nachhaltigkeit verpflichtend. Daraus folgt:
- Geldanlagen, die die folgenden grundlegenden ethisch-ökologischen Prinzipien mit den definierten Umsatzschwellen missachten, sind auszuschließen.
- Umwelt
- Förderung, Transport und Vertrieb von sowie Energiegewinnung aus fossilen Energieträgern (Kohle, Erdgas, Erdöl) 10%
- Unkonventionelle Öl- und Gasförderung (sog. Fracking, Arctic Drilling sowie Ölgewinnung aus Ölsanden und Ölschiefer) 0%
- Förderung von Kraftwerkskohle 0%
- Verstromung von Kraftwerkskohle 0%
- Erzeugung von Atomstrom 0%
- Förderung von Uran 0%
- Herstellung oder Vertrieb von gentechnisch veränderten Pflanzen oder Saatgut 10%
- Produktion und Vertrieb von Chemikalien, die als kontrovers eingeschätzt werden 0%
- Durchführung von Tierversuchen zur Herstellung von Kosmetika 0%
- Massentierhaltung oder Herstellung von Produkten basierend auf Massentierhaltung 10%
- Schwerwiegende und/oder systematische Verstöße in den Bereichen Umwelt, Klima und Biodiversität
- Soziales
- Einsatz von Kinderarbeit 0%
- Schwerwiegende und/oder systematische Verstöße der ILO-Kernarbeitsnorm
- Schwerwiegende und/oder systematische Verstöße gegen die Menschenrechte
- Herstellung oder Vertrieb von Kriegs-, Militär- oder Atomwaffen bzw. Rüstungsgüter 0%
- Herstellung und/oder Vertrieb kontroverser Waffen, wie Drohnen, radioaktiver Munition oder Antipersonenminen 0%
- Herstellung konventioneller Waffen 10%
- Lebensmittel-/Agrarspekulationen 0%
- Herstellung von Tabak 10%
- Governance
- schwerwiegende und/oder systematische Bestechungs- oder Korruptionsfälle
- Folgende Kriterien führen zum Ausschluss von Staaten bei Geldanlagen:
- Anwendung der Todesstrafe
- unfreie Staaten laut "Freedom House"
- keine Ratifizierung der ILO -Konvention C 29 zum Verbot von Kinderarbeit
- Wert < 40 (von 0 - 100) beim „Corruption Perceptions Index“ der Transparency International
- Nicht-Unterzeichnung von den wichtigsten Konventionen zum Verbot kontroverser Waffen
- Nicht-Ratifizierung des Paris-Agreements (Abkommen zum Klimaschutz 2015)
- Geldanlagen (z.B. Termingelder) bei Banken, die eine positive Bewertung im Bereich Nachhaltigkeit haben, sind zu bevorzugen. Orientierung bieten anerkannte nachhaltige Research- und Ratingagenturen oder auch der deutsche FairFinanceGuide.
- Ebenfalls zu bevorzugen sind Geldanlagen, welche erheblich nachhaltiger sind als vergleichbare Geldanlagen im selben Geschäftsfeld (Best-In-Class).
- Bei zukünftigen Kreditaufnahmen sind ebenfalls die Grundsätze ethischer und ökologischer Nachhaltigkeit zu beachten. Kredite sind vorranging bei nachhaltigen Banken (z.B. GLS, Triodos, EthikBank, Umweltbank) aufzunehmen. Wenn das nicht möglich ist, sind Geldgeber, die möglichst umfassend die Kriterien aus Punkt I.1 und I.2 beachten, zu bevorzugen.
- Insbesondere sind Investitionen, die auf nicht nachhaltige und klimaschädliche Energien setzen, generell auszuschließen. Dies gilt sowohl bei der Exploration, der Förderung, dem Abbau, dem Transport und der Verstromung sowie der Wärmeerzeugung aus fossilen Brennstoffen wie Kohle, Erdöl und Uran. Es wird nur in Instandhaltungsmaßnahmen und Modernisierungsmaßnahmen von Erdgasanlagen investiert, jedoch nicht in Neubau von diesen.
- Die Stadt beauftragt ihre Vertreter*innen in den Gremien der städtischen Beteiligungen Grundsätze der ethisch-ökologischen Finanzen gemäß der Punkte I bis III einzubringen.
- Die Stadt beauftragt ihre Vertreter*innen im Verwaltungsrat der Sparkasse Vorpommern, sich dafür einzusetzen, dass die Sparkasse Vorpommern keine Wertpapiere für die Eigenanlage (Depot A) mehr kauft und keine Wertpapiere und kapitalbildenden Versicherungen an ihre Kunden vertreibt, die den Nachhaltigkeitszielen aus diesem Beschluss (I.1-I.3) nicht entsprechen. Des Weiteren sollten sie sich auch bei der Kreditvergabe für die Einhaltung der entsprechenden ökologischen und ethischen Kriterien einsetzen.
- Die Stadt beauftragt ihre Vertreter*innen, sich dafür einzusetzen, dass auch die Anlagen der ZMV (Kommunale Zusatzversorgungskasse Mecklenburg-Vorpommern) den Nachhaltigkeitskriterien entsprechend erfolgen.
- Die Stadt nimmt weder Spenden noch Sponsoring von Institutionen und Organisationen an, die die in I. genannten Kriterien nicht berücksichtigen, noch bemüht die Stadt sich um solche Gelder.
- Es ist ein jährlicher Bericht über die Anwendung der Divestmentrichtlinien, sowie eine Auflistung der Finanzanlagen und sonstigen Vermögensverwaltung auf der Internetpräsenz der Universitäts- und Hansestadt Greifswald zu veröffentlichen.
- Die Stadt beauftragt ihren Asset-Manager, eine Zusammenarbeit mit einer Research- und Rating-Agentur aufzunehmen, welche auf nachhaltige Finanzanlagen spezialisiert ist (imug rating GmbH, ISS ESG oder Sustainalytics) zur Ausrichtung der Anlagen anhand der Positiv- und Negativkriterien dieser Beschlussfassung.
Sachdarstellung
Greifswald hat sich bereits in mehreren Beschlüssen zu einem ökologisch-nachhaltigen Handeln und sozialen Schutzmaßnahmen bekannt und verpflichtet. Hier sind vor allem die Verpflichtung als Masterplan-Kommune und der Masterplan 100 % Klimaschutz (Beschluss vom 06.11.2017) sowie die Ausrufung des Klimanotstands (Beschluss vom 16.09.2019) zu nennen. Außerdem hat Greifswald die Durchsetzung der Nachhaltigkeitsziele der UN, sowie die Teilnahme and der Kampagne "Fairtrade Town" beschlossen (Beschluss vom 12.04.2018). Bereits 2012 wurde nachhaltiges Bauen in der Stadtpolitik verankert. Ein Divestment aus ökologisch und sozial kritischen Geldanlagen wäre eine konsequente Fortsetzung bereits durchgeführter Maßnahmen. Des Weiteren war Greifswald Finalist beim deutschen Nachhaltigkeitspreis 2020. Ein Divestmentbeschluss würde sich positiv auf eine erneute Bewerbung für den Nachhaltigkeitspreis 2022 auswirken. Ein Divestmentbeschluss ist die konsequente und wichtige Fortsetzung der bereits durchgeführten Maßnahmen.
Unter Divestment versteht man den Abzug von Finanzmittel aus klimaschädlichen Geldanlagen, insbesondere aus fossilen Energieträgern wie Kohle, Öl und Gas. Ein Divestment kann als ein Baustein einer ganzheitlichen Nachhaltigkeitsstrategie einer Kommune gesehen werden. Es setzt mittel- und langfristig Prozesse in Gang, die zu einer Dekarbonisierung der Wirtschaft beitragen.
Neben diesen ökologischen Vorteilen ist ein Divestment vor allem aus Risikomanagementgründen sinnvoll. Durch Vermeidung von Anlagen in nicht nachhaltige und zukunftsgefährdende Unternehmen können Transformationsrisiken der Energiewende (Kosten durch Emissionshandel, geänderte Gesetzgebungen etc.), physische Risiken (Auswirkungen des Klimawandels wie Meeresspiegelanstieg, Dürre etc.) und Reputationsrisiken vermieden werden. Ein anschließendes nachhaltiges Re-Investment trägt langfristig zur Sicherheit der Anlage bei.
Es ist wissenschaftlich belegt, dass sich die finanzielle Rendite von nachhaltigen Geldanlagen überwiegend gleich gut bis besser entwickelt als bei konventionellen Anlagen. Studien und Erfahrungen deutscher Kommunen zeigen, dass durch Divestment und anschließendes nachhaltiges Investment sogar eine doppelte Rendite (d.h. finanziell Rendite, sowie positiver Einfluss auf Umwelt und Gesellschaft) erzielt werden kann.
Durch die öffentlichkeitswirksame Darstellung des Divestmentbeschlusses erzielen Kommunen eine positive Signalwirkung und fördern eine gesellschaftliche Diskussion über kohlenstoffintensive Industrien und motivieren weitere Akteure ein Divestment vorzunehmen. Diese politische Dimension ist essenziell, um die schädlichen Auswirkungen klimaschädlicher Geschäftsaktivitäten in die Öffentlichkeit zu tragen und betroffene Branchen zu einer Transformation zu bewegen.
Für die konkrete Umsetzung stehen mittlerweile viele Vorbilder (z.B. Rostock, Bremen, Münster) und Hilfestellungen zur Verfügung. Zum Beispiel bietet der "Leitfaden Kommunales Divestment" Erfahrungswerte zum konkreten Prozess eines kommunalen Divestments. Speziell im Kapitel 3 „Handeln“ werden der Ablauf eines typischen Divestmentprozesses, sowie auch konkrete Handlungsempfehlungen für Kämmereien, vorgestellt. Somit ist ein Divestmentprozess übersichtlich und unkompliziert gestaltbar.
Auch wenn kein großes divestierbares Vermögen vorliegt, kann auch ein symbolischer Beschluss als wichtiges Vorbild fungieren. So haben auch Kommunen mit wenig Möglichkeiten, Rücklagen zu bilden, divestiert. Bremen gehört hier mit einem der umfassendsten Divestmentbeschlüsse in Deutschland zu den Vorbildern.
Der Klimawandel hat auch regionale Auswirkungen auf Greifswald und Mecklenburg-Vorpommern. So stellen zum Beispiel der durch die globale Erwärmung ausgelöste Meereswasseranstieg sowie die damit verbundene Zunahme von Sturmfluten eine starke Gefährdung für Mecklenburg-Vorpommerns Küsten dar. Außerdem trifft der Klimawandel nicht nur das Meeresgebiet, sondern auch die Wälder des Greifswalder Umlandes. WissenschaftlerInnen der Universität Greifswalds haben bspw. herausgefunden, dass die Sommertrockenheit zunehmend dem Wachstum vor allem von Buche und Eiche im Ostseeraum schadet.
Auch die Landwirtschaft bleibt von der Trockenheit nicht verschont. Im Jahresbericht der Landesforschungsanstalt für Landwirtschaft und Fischerei Mecklenburg-Vorpommerns von 2018 ist die Rede von einer "Notstandssituation" im Dürrejahr 2018, begründet mit Ernteausfällen von bis zu 28%.
Folglich bedeutet der Klimawandel eine große Gefahr für die Menschen in Mecklenburg-Vorpommern. Außerdem drohen erhebliche wirtschaftliche Schäden und Folgekosten, sollte ein rasches Umsteuern ausbleiben.
Literatur:
Friede, G., Busch, T., & Bassen, A. (2015). ESG and financial performance: aggregated evidence from more than 2000 empirical studies. Journal of Sustainable Finance and Investment, 5(4), 210–233.
Ansar, A., Caldecott, B. L., & Tilbury, J. (2013). Stranded assets and the fossil fuel divestment campaign: what does divestment mean for the valuation of fossil fuel assets? Smith School of Enterprise and the Environment, University of Oxford.
Baron, R., & Fischer, D. (2015). Divestment and Stranded Assets in the Low-carbon Transition. OECD 32nd Roundtable on Sustainable Development, (October), 1–26.
Gloger, A.-M., van Kaldenkerken, P., McClellan, A., Schütt, S., Schwarz, J., & Sterzel, T. (2020). Handlungsempfehlungen zum Divestment und zur langfristigen nachhaltigen Ausrichtung kommunaler Finanzen und Kapitalanlagen. Berlin: adelphi. https://kommunales-divestment.de/sites/kommunales-divestment.de/files/documents/divestment_leitfaden_web.pdf)
Meinke, I., M. Reckermann (2012): Ostseeküste im Klimawandel – Ein Handbuch zum Forschungsstand
Harvey, J. E., Smiljanić, M., Scharnweber, T., Buras, A., Cedro, A., Cruz-García, R., … Wilmking, M. (2020). Tree growth influenced by warming winter climate and summer moisture availability in northern temperate forests. Global Change Biology, 26(4), 2505–2518. Retrieved from https://doi.org/10.1111/gcb.14966
Landesforschungsanstalt für Landwirtschaft und Fischerei Mecklemburg Vorpommern (2019). Jahresbericht 2018. https://www.landwirtschaft-mv.de/static/LFA/Dateien/Hefte/MdLF_JB_2018.pdf
https://www.ilo.org/berlin/arbeits-und-standards/kernarbeitsnormen/lang--de/index.htm
Nuklearer Nichtverbreitungsvertrag (NVV, englisch: Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons (NPT)), Kernwaffenteststopp-Vertrag (englisch: Participation in the Comprehensive Nuclear-Test-Ban Treaty (CTBT)), Chemiewaffenkonvention (CWK, englisch: Chemical Weapons Convention (CWC)), Biowaffenkonvention (englisch: Biological Weapons Convention (BWC)), Konvention über bestimmte konventionelle Waffen (englisch: Convention on Certain Conventional Weapons (CCWC)), Ottawa-Konvention (englisch Ottawa convention (anti-personal landmines), Übereinkommen über Streumunition (englisch: convention on cluster munitions), Vertrag über den Waffenhandel (Arms Trade Treaty)
https://www.fairfinanceguide.de/ffg-d/banken/
Finanz. Auswirkung
Haushalt |
Haushaltsrechtliche Auswirkungen (Ja oder Nein)? |
HHJahr |
Ergebnishaushalt |
Ja |
2022 ff. |
Finanzhaushalt |
Ja |
2022 ff. |
|
Teil- haushalt |
Produkt/Sachkonto/ Untersachkonto |
Bezeichnung |
Betrag in € |
|
1 |
11 |
61200 diverse Sachkonten |
u. a. Zinsen und Tilgung |
|
|
|
|||||
|
HHJahr |
Planansatz HHJahr in € |
gebunden in € |
Über-/ Unterdeckung nach Finanzierung in € |
|
1 |
|
|
|
|
|
|
HHJahr |
Produkt/Sachkonto/ Untersachkonto Deckungsvorschlag |
Deckungsmittel in € |
1 |
|
|
|
Folgekosten (Ja oder Nein)? |
|
|
HHJahr |
Produkt/Sachkonto/ Untersachkonto |
Planansatz in € |
Jährliche Folgekosten für |
Betrag in € |
1 |
|
|
|
|
|
Die haushaltsrechtlichen Auswirkungen können nicht beziffert werden, u. a. ist allerdings anzumerken, dass bspw. die Zinsen für Kredite bei nachhaltigen Banken in der Regel höher sind.